Was sind Bürgermedien?
Bürgermedien sind lokal und regional verankerte, gemeinnützige oder öffentlich getragene Rundfunksender, in denen Bürger*innen aktiv Inhalte produzieren, Medienkompetenz erwerben und zur Stärkung demokratischer Öffentlichkeit vor Ort beitragen.
Geschichte der Bürgermedien in Deutschland
Die offizielle Geschichte der Bürgermedien in Deutschland startet 1984 mit dem Sendestart des Offenen Kanals Ludwigshafen. Bereits 1980 hatte im schweizerischen Wil der erste offene Kanal im deutschsprachigen Raum eröffnet. Die Utopie eines zugangsoffenen Rundfunks formulierte bereits Bertolt Brecht in seiner Radiotheorie aus den 1930er Jahren.
„Der Rundfunk ist aus einem Distributionsapparat in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln.
Bertolt Brecht,
Der Rundfunk wäre der denkbar großartigste Kommunikationsapparat des öffentlichen Lebens,
ein ungeheures Kanalsystem, das heißt, er wäre es, wenn er es verstünde, nicht nur auszusenden,
sondern auch zu empfangen, also den Zuhörer nicht nur hören, sondern auch sprechen zu machen
und ihn nicht zu isolieren, sondern ihn auch in Beziehung zu setzen.“
Radio – Eine vorsintflutliche Erfindung?, ca. 1930
Seit den 1960er Jahren waren in den USA Open Channels gegründet wurden. In diesen Sendern konnten Bürger nicht nur als Hörer konsumieren, sondern sich selbst an der Programm- und Sendegestaltung beteiligen. In Deutschland startete diese Bewegung mit nichtlizenzierten sogenannten Piratenradios, von denen Radio Dreyeckland (1977 als Radio Verte Fessenheim gegründet) das vermutlich älteste ist1. Mit einer Reform der Medienpolitik ab der späten 1970er Jahre wurde der Weg geebnet für den offiziellen und lizenzierten Bürgerrundfunk in Deutschland. Wegweisende Diskussionen dazu führte die Expertenkommission Offener Kanal (EOK), die ab 1978 auf Initiative der Bundeszentrale für politische Bildung tagte. In ihr versammelten sich Vertreter der Kirchen, Staatskanzleien, Rundfunkanstalten, Gewerkschaften und Bildungseinrichtungen. Entscheidend für die positive Entwicklung waren – neben den fruchtbaren Diskussionen – die Einführung des privaten kommerziellen Rundfunks und der flächendeckende Ausbau des Kabelnetzes. Parallel dazu entschied man die Einrichtung von Offenen Kanal-Pilotprojekten in Ludwigshafen, Dortmund und Berlin ab 19842.
„Die Einführung Offener Kanäle im deutschen Rundfunksystem wird
Elfriede Walendy,
vielfach mit dem „kollektiv schlechten Gewissen“ von Politikern in Verbindung gebracht,
die dadurch quasi einen Ausgleich für die Zulassung kommerzieller Anbieter schaffen wollten.“
Landeszentrale für Kommunikation Baden-Württemberg, 1993
In den folgenden Jahren etablierten sich weitere Offene Kanäle in fast allen (west-)deutschen Bundesländern. Baden-Würtemberg erteilte im Januar 1988 Radio Dreyecksland mit der eine Lizenz für lokales Hörfunkprogramm und lizenzierte damit das erste Nichtkommerzielle Lokalradio Deutschlands. Nach der Wende wurden auch in den meisten ostdeutschen Bundesländern Offene Kanäle und Lokalradios eingeführt. Sachsen und Bayern führten Aus-, Fortbildungs-, Erprobungs- und Lernkanäle ein. In den anschließenden Jahrzehnten sorgten förderalpolitische Entscheidungen, Änderungen der Medienlandschaft und nicht zuletzt die Digitalisierung zu einer Umstrukturierung vieler Sender. In manchen Bundesländern etablierten sich Medienbildungszentren (mit und ohne Sendelizenz) an OK-Standorten. Für die Sammelbezeichnung der vielfältigen Angebote etablierte sich der Begriff Bürgermedien. Heute sind bundesweit etwa 170 Kanäle unterschiedlichster Ausprägung aktiv3.
Struktur und Aufgaben der Bürgermedien
Aufgrund der förderalen Struktur der Mediengesetzgebung und der besonderen lokalen Natur von Bürgermedien entwickelte sich im Lauf der Jahre eine Vielzahl an Konzepten, Formaten und Bezeichnungen, die sich den Bürgermedien zuordnen lassen. Dazu gehören neben Offenen Kanälen (TV und Radio) und Nichtkommerziellen Lokalradios auch die freien Radios, die Bürgersender bzw. der Bürgerrundfunk, die Aus-, Fortbildungs-, Erprobungs- und Lernkanäle, sowie Campusmedien. Auch die Organisation der Sender hat unterschiedlichste Ausprägungen: in Trägerschaft der Medienanstalten, in der Hand von Trägervereinen oder auch als gemeinnützige GmbH. Trotz dieser Vielzahl an Ausprägungen weisen die verschiedenen Bürgermedien grundlegende Gemeinsamkeiten auf.

Bereits ab 1978 erarbeitete die EOK unter der Federführung der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) am Entwurf „Der Offene Kanal – Kriterien für ein Bürgermedium“, mit dem Rahmenbedingungen, Erwartungen und Aufgaben der neuen Rundfunkform formuliert werden sollten. Die ersten veröffentlichten Vorschläge „Regeln für den offenen Kanal“ können als bis heute für Bürgermedien gültig erachtet werden:
„Qualifizierung der lokalen Kommunikation“,
„unterrepräsentierten Personen, Perspektiven und Bedürfnissen den Weg zur Teilhabe am öffentlichen Leben zu ebnen“
„kommunikative Kompetenz der Rezipienten gegenüber den Massenmedien bzw. öffentlicher Kommunikation zu stärken“4
Im Jahr 1988 gründete sich der Bundesverband Offene Kanäle e.V. (BOK) als erste Interessenvertretung der Bürgermedien. Ziel des Vereins war „die Förderung der Erziehung, Volks- und Berufs-bildung mit Schwerpunkt auf politischer Bildungsarbeit„5.
- Linke, J. (2009): Bürgermedien – Versuch einer Definition
Newsletter Wegweiser Bürgergesellschaft 4/2009. https://www.buergergesellschaft.de/fileadmin/pdf/gastbeitrag_linke_090227_01.pdf ↩︎ - Förster, S. (2018), Vom Urknall zur Vielfalt: 30 Jahre Bürgermedien in Deutschland.
Leipzig: VISTAS. https://www.nlm.de/fileadmin/dateien/aktuell/Publikationen/Vom_Urknall.pdf ↩︎ - BOK e.V. (2015): Bürgermedien in Deutschland. https://www.tlm.de/assets/uploads/general/Aktuelles/Publikationen/PR-Archiv-Buergermedien/Bundesweit-Buergermedien-in-Deutschland-2015.pdf ↩︎
- Paukens, H. (2008). Bürgermedien. In: Sander, U., von Gross, F., Hugger, KU. (eds) Handbuch Medienpädagogik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-91158-8_78 ↩︎
- https://www.bildungsserver.de/institution.html?institutionen_id=4468 ↩︎