Wir denken mit Dank an C. Wolfgang Müller
20. Mai 2021
Der Berliner Professor, der im Mai 1980 in einer Veranstaltung im ZDF in Mainz für die Abschaffung des Fernsehens plädierte, gehörte da schon lange zum Seminar- team von Christian Longolius, Bundeszentrale für politische Bildung. Er war nicht nur dessen pädagogischer Lehrmeister, sondern viele der Bildungsmaßnahmen der Bun- deszentrale hat er entwickelt. Von den Offenen Kanälen hielt er anfangs nicht allzu- viel: Die Bitte von Longolius, doch auch bei den Werkstattseminaren in den Kabelpi- lotprojektstädten mitzuwirken, hat er 1981 abschlägig beschieden.
Ein paar Jahre später, Ende 1986, ließ er sich aber darauf ein, im Offenen Kanal Dortmund ein Praktikum zu absolvieren, das in Wahrheit eine Art von Supervision war. Wie besucherfreundlich ist die Einrichtung? Wie empfängt das Personal die Besucher? Wie oft klingelt das Telefon, bis jemand rangeht? Er hat aber nicht nur beo- bachtet und Strichlisten geführt: Er hat Kurse belegt, als Kameramann agiert und so- wohl Verbesserungs- als auch Beibehaltungsvorschläge gemacht.
Und da muss ihn etwas infiziert haben, das wieder ein paar Jahre später in Hessen mitgeholfen hat, die Sinnhaftigkeit Offener Kanäle unter Beweis zu stellen: Nachdem auch in Kassel ein getarntes Praktikum stattgefunden hatte, entstand die Idee zu der Publikation „Seitenwechsel“, deren Titel der allererste Fixpunkt war. Im Auftrag der Hessischen Landesmedienanstalt befragten C. Wolfgang Müller (in allen Notizen kurz CWM) und Sabine Gieschler 2004 in Kassel, Gießen, Offenbach und Fulda je- weils acht Menschen zu ihren Erfahrungen, Erlebnissen, Erkenntnissen als Produ- zenten für den Offenen Kanal. Die Erkenntnis für CWM daraus ist unter anderem die Überraschung darüber, wie viele Kompetenzen neben der medialen die Befragten während ihrer Produktionstätigkeit erworben haben.
Nach der Publikation, die sich laut einer Offenbacher Lese- rin „wie ein Roman“ liest, verfolgte CWM die Entwicklung der Bürgermedien aufmerksam, machte auf allen möglichen Reisen in Kassel Station, und als ab 2013 der Bundesver- band Offene Kanäle europaweite Tagungen veranstaltete, wirkte er jedes Mal mit. Hier am 12. September 2013 bei der Veranstaltung „Europa lokal“ in Berlin. Übrigens: Die Hand mit dem Mikrofon gehört Christian Schurig, den auch
alle Bürgermedienmenschen ken- nen sollten.
Als im November 2014 in der Bundeszentrale für politische Bildung in Berlin über 30 Jahre Offener Kanal nachgedacht wurde, wirkte er als „wohlwollender und zugleich kritischer Wegbegleiter“ mit.
Bei fast jeder Dienstreise nach Berlin gab es dort ein Treffen, und die Korrespondenz zwischen ihm und der seit Mai 2016 Rentnerin in Hennef-Westerhausen riss nicht ab. Seine letzte
Post mit dem Büchlein „Berliner Briefe“ ist aus dem Dezember 2020; der sehr späte Dank dafür im April 2021 enthielt eine Frage, die er nicht mehr beantworten konnte.
Am 21. April ist Prof. em. Dr. Dr. h.c. C. Wolfgang Müller gestorben. Er wurde 92 Jahre alt, das C. steht für Carl, und er war der einzige Berater in Sachen Lehre und Lernen, den man sich überhaupt nur wünschen kann.
Angelika Jaenicke und alle Bürgermedienfreunde, die ihn kannten, werden nicht zu- letzt seine Pose am Flipchart und seine Begabung, verwickelte Zusammenhänge sauber zu strukturieren und zu erklären, nicht vergessen.